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Vom Ich zum Wir

Es ist schon faszinierend, was Corona alles in uns weckt. Hat die Krise auch was Gutes?

Da ist dieser Zusammenhalt: Musiker spielen abends die „Europahymne“, Fußballfans schmettern „You’ll never walk alone“, Christen singen „Der Mond ist aufgegangen“, im Vorgarten oder auf dem Balkon. Es zeigt: Wir müssen Abstand halten, aber wir stehen zusammen.

Vom Ich zum Wir – das ist das Gute an dieser Krise. Viele klatschen Beifall für alle, die bis spät abends in den Krankenhäusern arbeiten, andere bedanken sich bei denen, die früh morgens in den Supermärkten die Regale auffüllen. Großartig. Auch die Kirchen werden kreativ: Ehrenamtliche kaufen ein für die Älteren. Pfarrerinnen und Pfarrer machen jetzt verstärkt Telefonseelsorge und am Sonntagmorgen gibt es Butterbrottüten mit einer Kerze, einem Bild, einem Text, einem Gebet, zum Mitnehmen aufgehängt an einer Wäscheleine.

Auch der Staat macht jetzt seine Hausaufgaben: Das Land legt Soforthilfen auf für Künstler, die keine Auftritte mehr haben, für Soloselbständige, die sich bis gestern noch um die IT gekümmert oder Treppenhäuser geputzt haben. Vom Ich zum Wir: Klar, manches hakt noch, aber vieles läuft.

Vielleicht ist es gut, jetzt dran zu bleiben: an der älteren Nachbarin, die alleine ist, an der Familie, wo es schon mal laut wird und die jetzt aufeinander hockt. Nicht nur „Meldet Euch, wenn was ist“, sondern selbst anrufen und nachfragen.

Vom Ich zum Wir: Ein paar Fragen heb ich mir auf für die Zeit nach der Krise.

Wie werden die Pflegekräfte an den Betten und die Frauen und Männer an den Regalen eigentlich bezahlt? Muss es immer nur danach gehen, was einer gelernt hat und leisten kann, oder nicht auch danach, wen wir nun mal brauchen?

Und was ist das, was wir immer gemeinsam brauchen? Wasser, Lebensmittel, Energie, Verkehr, Gesundheit: Ist es wirklich so schlau gewesen, hier so viel zu privatisieren, es in allen Teilen der Welt zu produzieren, immer da, wo es am billigsten ist? Oder sollten wir bestimmte Dinge in Zukunft nicht selber machen? Wir in Europa, wir vor Ort, wir als Staat?

Ich sag mal so: Der Pflegenotstand kommt, der Klimawandel kommt. Auch wenn diese Krise vorbei ist. Wir können das schaffen. Hauptsache, wir bewegen uns vom Ich zum Wir.

 

Kirche in WDR 2 | 27.03.2020 | 05:55 Uhr

Pfarrer Dr. Titus Reinmuth

stellvertretender Ev. Rundfunkbeauftragter beim WDR

Büro der Evangelischen Rundfunkbeauftragten beim WDR, Düsseldorf