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Glauben Sie an Wunder?

Die Meinungen, ob es sie wirklich gibt, gehen ja ziemlich auseinander. Die einen sind felsenfest davon überzeugt, andere können sogar ihre ganz persönliche, selbst erlebte Wundergeschichte erzählen und wieder andere gehen die Sache ganz rational an und suchen lieber nach vernünftigen Erklärungen für jedes erstaunliche Phänomen. Die Bibel erzählt viele Wundergeschichten, und so spricht auch die Losung für den heutigen Tag von Wundern:

Gott tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind. (Hiob 9,10)

Nicht nur der Inhalt dieser Worte lässt mich innehalten, es ist auch die Form; denn die ist besonders. Zwei ganz parallel aufgebaute Teile hat der Vers: parallel in der Aussage und parallel im Aufbau:

  1. Gott tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und

  2. Wunder, die nicht zu zählen sind.

„Parallelismus membrorum“ heißt das Stilmittel dementsprechend. Und diese Art und Weise, der Sprache Schönheit und Kraft zu verleihen, wird ganz häufig in der hebräischen Poesie verwendet. Aus den Psalmen kennen wir das. Die Aussage des ersten wird im zweiten Versteil mit anderen Worten wiederholt, verstärkt oder zu einer Abrundung gebracht: ähnlicher Inhalt, andere Gestalt. Ein paar Beispiele haben Sie vielleicht sogar im Ohr:

Ich will den HERRN loben allezeit;

sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. (Ps 34,2)

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt

und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt… (Ps 91,1).

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte

und ein Licht auf meinem Wege. (Ps 119,105)

Aber zurück zu unserer Tageslosung: Ja, auch hier findet sich eben dieser Parallelismus: Gott tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind. (Hiob 9,10)

Hier wird im 2. Satzteil die Grundaussage nicht nur wiederholt, sondern sogar noch gesteigert: von den „großen Dingen“ hin zu den Wundern. Da will einer mit Nachdruck sprechen: Gott tut Wunder!

Das Thema „Wunder“ ist für viele ja ziemlich herausfordernd, weil sie dazu neigen, alles verstehen und erklären und möglichst auch noch bewerten zu wollen. Und bei Wundern stoßen sie, stoßen wir dann naturgemäß an Grenzen. Auch die Worte unserer Tageslosung sind nicht Ergebnis eines Faktenchecks, sondern ein Vertrauensbekenntnis. Der, der es spricht, musste gegen eine harte Wirklichkeit anglauben: Es war kein anderer als Hiob!

Sobald wir Gehalt und Gestalt der Wunder analysieren, zerdenken wir sie. Vielleicht kommen wir ihnen ein wenig auf die Spur, wenn wir ihnen nachspüren. Was mich persönlich dabei besonders berührt, und worin ich bei den unterschiedlichen Geschichten die Gemeinsamkeit sehe, ist das Moment der Verwandlung. Jesus bewirkt in diesen Menschen Verwandlung: er tritt hinzu und traut ihnen zu, dass sie sich und dass sie ihr Leben ändern können. Im Neuen Testament finden sich einige Formulierungen die illustrieren, wie verfahren oder sogar wie besiegelt das Schicksal einiger Menschen scheint, bevor sich durch Jesus alles ändert: „niemand konnte ihn [den Besessenen] mehr binden“, „niemand konnte ihn bändigen“ (Mk 5,3+4), die Tochter des Jairus „liegt in den letzten Zügen“ (Mk 5, 23), „eine Frau, die hatte den Blutfluß seit zwölf Jahren“ (5,24), ein Mann „voller Aussatz“ (Lk 5,12), ein Mensch war „seit 38 Jahren krank“ (Joh 5,5) und der tote Lazarus „ stinkt schon, denn er liegt seit vier Tagen“ (Joh 11,39).

Jesus durchbricht diese nach menschlichem Ermessen manifesten Gegebenheiten: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt (Mk 9,23).

In das, was erstarrt, verstrickt, verknotet, gelähmt, perspektivlos und tot scheint, kommt Bewegung. Wunder sollen und wollen keine spektakulären Inszenierungen sein, es sind durchweg Geschichten, die von der Hoffnung erzählen, von der Möglichkeit, dass alles noch einmal ganz anders werden kann. Und so gesehen könnte man die Gattung „Wundergeschichten“ noch erweitern; denn ich finde: Nicht nur da, wo Wunder dransteht, ist auch Wunder drin. Ein Wunder besteht nicht nur in der Abfolge von krank zu gesund, von tot zu lebendig, von Sturm zu Stille und von leeren Netzen zu reichem Fang. Von Wundern erfahren wir doch eigentlich noch viel häufiger:

Denken wir an Zachäus, der einen völligen Neuanfang schaffte durch die Begegnung mit Jesus; an die Ehebrecherin, deren Leben durch Jesu Einsatz nicht nur nicht endete, sondern neu begann.

Wunder heißt: Veränderung. Eine Veränderung, mit der keiner mehr so richtig gerechnet hat. Wenn sich visionslos gewordene Menschen wieder an ihre Träume erinnern, wenn innerlich Erstarrte eine unerwartete Chance ergreifen, Mutanfälle bekommen und ihren „Möglichkeitssinn“ (R. Musil) entdecken. Und manchmal geschehen Wunder ganz leise: Wenn es einem Menschen gelingt, trotz aller Schwere eine andere Haltung zu seinem Schicksal einzunehmen oder wenn es ihm gelingt, nach Hilfe zu fragen – das sind mitunter die größten Kraftakte.

Wie das zu schaffen ist? Selbstfürsorge und Veränderungsbereitschaft sind sicher wichtig, aber die Quelle unserer (Neustart-)Energie ist Gott:

Gott tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind. (Hiob 9,10)

Herzlich wünsche ich Ihnen eine wundervolle zweite Wochenhälfte!

Ihre Martina Kämper, Pfrn.