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Gedanken zum Sonntag 'Invokavit'

von Pfarrerin Petra Handke

 

Liebe Leserinnen und Leser!

„Invokavit“, so lautet der Name unseres Sonntags. Es ist der erste Sonntag der Passionszeit und bedeutet: „Er hat gerufen.“ Dieser Satz bezieht sich auf Psalm 91,15:

„Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“ - Diese wunderbare Zusage Gottes eröffnet im Kirchenjahr ausgerechnet die Zeit, die sich in besonderer Weise inhaltlich und spirituell mit dem Leidensweg Christi auseinandersetzt. Ist das Zufall? Ein Fehler? Oder verbirgt sich ein tiefgehender Sinn darin?

Das Nachdenken darüber soll uns im Weiteren begleiten.

Aber zunächst zur Einstimmung Verse aus unserem Wochenlied von Josua Stegmann aus dem Jahre 1627 (EG 347) mit dem Titel „Ach bleib mit deiner Gnade“:

  1. Ach bleib mit deiner Gnade
    bei uns, Herr Jesu Christ,
    daß uns hinfort nicht schade
    des bösen Feindes List.

  2. Ach bleib mit deinem Worte
    bei uns, Erlöser wert,
    daß uns sei hier und dorte
    dein Güt und Heil beschert.

  3. Ach bleib mit deinem Glanze
    bei uns, du wertes Licht;
    dein Wahrheit uns umschanze,
    damit wir irren nicht.

  4. Ach bleib mit deinem Segen
    bei uns, du reicher Herr;
    dein Gnad und alls Vermögen
    in uns reichlich vermehr.

  5. Ach bleib mit deinem Schutze
    bei uns, du starker Held,
    daß uns der Feind nicht trutze
    noch fäll die böse Welt.

  6. Ach bleib mit deiner Treue
    bei uns, mein Herr und Gott;
    Beständigkeit verleihe,
    hilf uns aus aller Not.

Mit Worten einer modernen Übertragung unseres Wochenpsalms (Psalm 91) sind wir zum Gebet eingeladen:

„Unter dem Schatten deiner Flügel, Gott, bin ich geboren,

und unter deinem Schirm bin ich wohl behütet.

Du bist für mich wie eine Burg, auf der ich geborgen bin,

wie ein Fels, auf dem ich sicher wohne.

Du gibst mir Hoffnung, dass ich nicht verloren gehe

Und schenkst mir Zuversicht, dass ich vor Gefahren bewahrt werde.

Du errettest mich aus den Stricken des Jägers

und bewahrst mich vor tödlicher Krankheit.

Deine Wahrheit ist mir wie ein Schild,

sie bewahrt mich vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

und vor den Gefahren der Nacht.

Unter deinen Fittichen beschützt du mich mit deiner Liebe

und schenkst mir Zuflucht vor der Pest, die mich verderben will.

Du bist meine Zuversicht, Gott, und meine Zuflucht.

Kein Übel wird mich herabziehen,

und keine Plage mich dauerhaft bedrohen.

Denn du, Gott, hast deinen Engeln befohlen,

dass sie mit mir sind auf meinen Wegen,

dass sie mich bewahren vor allem Übel

und dass ich meinen Fuß nicht an einen Stein stoße.

Ich werde meinen Fuß auf Löwen und Ottern setzen

und Raubtiere und sogar Drachen niedertreten.

Unter dem Schatten deiner Flügel, Gott, bin ich geboren,

und unter deinem Schirm bin ich wohl behütet.“

(aus: Stephan Goldschmidt, Denn du bist unser Gott, S. 111-112)

 

Unter dem Schatten deiner Flügel, Gott, bin ich geboren,

und unter deinem Schirm bin ich wohl behütet.

Ein starkes Bild von Geborgenheit und Schutz, das uns zentral an diesem Sonntag im Wochenpsalm begegnet. Ausgerechnet zu Beginn der Passionszeit, die das Leiden und Sterben Jesu über 7 Wochen in den Blickpunkt rückt.

Leidenszeiten sind uns als Menschen ja nichts Fremdes. Durch alle Generationen, Zeiten, Kulturen und Epochen hindurch. Das „Buch der Menschheitsgeschichte“ ist voll von ihnen. Und das nicht nur im übergeordneten Großen und Ganzen, sondern auch im Kleinen, Privaten und höchst Persönlichen. Sei es die Erfahrung von Kriegen, Gewalttaten, Natur- und Hungerkatastrophen ganz global oder die Erfahrung von Leiden, Tod, Krankheit und Krisen in der eigenen Existenz oder im Leben von nahestehenden Menschen. Leidenszeiten sind eine menschliche Realität und sie zu durchleben ist schmerzhaft. Diese Erfahrung verbindet uns als „Menschenkinder“ untereinander, und auf diese Weise auch mit Jesus von Nazareth, dem Christus Gottes. Das „Evangelium“, die „gute Nachricht“ bezeugt ihn als Gottes Sohn, Retter und Heiland. In ihm kommt Gott den Menschen ganz nahe, geradezu zum Greifen nahe und lädt in seine Gemeinschaft ein. Jesu Weg ist gekennzeichnet von aufrüttelnden Botschaften und heilsamem Handeln, das den Menschen eine Ahnung vermittelt wie es sein kann und sein soll, wo Gottes Gegenwart sich durchsetzt. Und dennoch führt auch sein Weg nicht am Leiden vorbei, sondern letztlich mitten hinein, bis in das Kreuz und den Tod. Jesus, und damit Gott selbst, teilt unser menschliches Dasein bis in die letzte Konsequenz und macht damit unumstößlich sichtbar, dass er um uns Menschen und unser Ergehen weiß. Es ist ihm nicht egal, er leidet mit. Das ist für mich eine besondere, herausfordernde Botschaft unseres Glaubens.

Eine Botschaft, die zugleich eine Einladung ist, sich an diesen Jesus, den Christus Gottes zu wenden, wenn schwere Zeiten drohen. Menschliche, unsere Erfahrungen sind ihm vertraut und damit auch wir und das, was wir erleben. Es ist bei ihm gut aufgehoben „wie in einer Burg“.

Wenden wir uns an Christus, in dem Gott gegenwärtig ist, dürfen wir gewiß sein, dass er uns hört. So wie Psalm 91 formuliert:

„Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“

Gott hört uns nicht nur, er handelt auch. Jesu Weg mündete ja in seinem Leiden und Tod letztlich nicht ins Nichts, wie in eine dunkle Sackgasse, sondern Gott schenkte ihm in der Auferstehung neues Leben, damit er für uns alle zur Hoffnung wird. Eine Hoffnung, die uns hilft und Kraft verleiht, auch schwere Zeiten zu durchstehen. Eine Hoffnung, die uns birgt wie unter behütenden Flügeln, in einer festen Burg, unter einem schützenden Schirm oder hinter einem wehrhaften Schild, weil wir darauf vertrauen dürfen, dass unser Weg in der Gegenwart Gottes uns letztendlich zu einem guten Ziel führt.

„Invokavit“, der erste Sonntag der Passionszeit, ist mit seinem zentralen Psalm für mich eine herzliche Einladung Gottes, sich dieser Hoffnung und ihren bergenden Kräften anzuschließen.

Eine Einladung, die uns allen gilt und die wir mitnehmen dürfen in die heute beginnende Woche.

Spricht sie uns an? Das läßt sich nur durch Ausprobieren erfahren!

Aber, davon bin ich überzeugt, der Versuch wird nicht ungesegnet bleiben.

Amen.